Bei Verdacht auf eine Kollagenose kann die Kapillarmikroskopie ein wichtiger Puzzle-Baustein der Diagnostik sein. Im Fokus stehen bei dieser Methode – die nach erfolgreicher Schulung auch von Medizinischen Fachangestellten und der Rheumatoiogischen Fachassistenz durchgeführt werden kann – die kleinsten Blutgefäße, die Kapillaren. Sie sind an der Nagelfalz am besten zu beobachten. Die Untersuchung ist schmerzfrei, erfordert aber etwas Übung und Erfahrung. Worauf es ankommt und wie Fehler vermieden werden können, weiß Katharina Pagel, Rheumatologin aus Hoppegarten. | |
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LILLY: Was genau ist die Kapillarmikroskopie und wann setzen Sie die Untersuchungsmethode ein?
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Katharina Pagel: Bei der Kapillarmikroskopie werden die kleinsten Blutgefäße im Körper, die Kapillaren, die für den Gasaustausch im Gewebe verantwortlich sind, untersucht. Am besten lassen sich die Kapillaren an der Nagelfalz der Finger betrachten, denn am Übergang zum Nagel ist die Haut sehr dünn. Die Kapillaren liegen dort sehr oberflächlich und parallel zur Haut.
Die Kapillarmikroskopie macht Sinn, wenn ein neues Raynaud Phänomen aufgetreten ist und / oder der Verdacht auf bestimmte Rheuma-Erkrankungen besteht, beispielsweise auf einen Lupus erythematodes, Sklerodermie oder eine Myositis. Bei diesen Erkrankungen kommt es im Bereich der Kapillaren zu typischen Veränderungen. Es handelt sich dann um ein sekundäres Raynaud-Syndrom. Bei diesem Syndrom kommt es zu einer Minderdurchblutung des Gewebes, oft ausgelöst durch Kälte. Die Hände werden erst blau oder weiß, dann rötlich gefärbt. Das Syndrom kann für die Betroffenen sehr schmerzhaft sein. Grund für die Minderdurchblutung sind neben der Verengung der Blutgefäße hier zusätzlich die fehlenden und veränderten Kapillaren – anders als beim primären Raynaud-Syndrom, das oft junge, schlanke Frauen mit niedrigem Blutdruck betrifft. Hier werden bei Kälte die Gefäße vor den Kapillaren eng gestellt. Es kommt ebenfalls zu einer schlechten Durchblutung der Hände, aber die Kapillaren sehen ganz normal aus. | |
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Katharina Pagel studierte Humanmedizin an der Humboldt-Universität und an der Charité in Berlin. Ihre Qualifikation als Fachärztin für Innere Medizin und Rheumatologie absolvierte sie 2015 in der Rheumaklinik Berlin Buch. Seit 2016 arbeitet Katharina Pagel in einer Facharztpraxis für Rheumatologie in Hoppegarten. Bis 2021 war die Rheumatologin darüber hinaus in der Ambulanz der Rheumaklinik Berlin Buch tätig.
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LILLY: Wie sehen die Kapillaren gewöhnlich aus?
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Katharina Pagel: Bei gesunden Menschen liegen die Kapillaren meist wie ein Zaun gerade nebeneinander wie viele kleine Haarnadeln. Sie können sich auch einmal kreuzen oder verlängert sein. Pathologisch sind hingegen Befunde, bei denen die Kapillaren am Ende stark aufgeweitet sind. Wir sprechen dann von Megakapillaren. Außerdem spricht eine Dichteminderung für eine Kollagenose, wenn also zu wenige Kapillaren vorhanden sind. Viele Einblutungen können auch ein Hinweis auf eine Kollagenose sein. Wir betrachten bei der Untersuchung lediglich die oberste Reihe der Kapillaren. Das kann gut abgegrenzt werden. | |
LILLY: Gibt es abgesehen von Rheuma weitere Ursachen für das sekundäre Raynaud-Syndrom?
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Katharina Pagel: Ja, die gibt es tatsächlich. Manche Medikamente wie Beta-Blocker, die beispielsweise bei Bluthochdruck gegeben werden, können ein sekundäres Raynaud-Syndrom auslösen. Ebenso bringen manche Maschinen, die von Handwerkern bedient werden, Probleme mit sich: Männer, die die Rüttelmaschinen auf dem Bau betätigen, können dadurch typische Raynaud-Syndrom-Beschwerden erleiden. Das sollte durch eine gute Anamnese vorab ausgeschlossen werden. | |
LILLY: Was wird für die Kapillarmikroskopie benötigt und welche Vorbereitungen sind zu treffen?
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Katharina Pagel: Die völlig schmerzfreie Untersuchung erfordert nicht viel. Wichtig ist, dass der Untersuchungsraum angenehm warm ist. Für die Untersuchung ist es erforderlich, dass die Finger der Patientin bzw. des Patienten gut durchblutet sind. Daher gibt es im Hochsommer wenig zu beachten. Im Winter oder an kalten Tagen ist es besser, wenn sich die Betroffenen erst einmal akklimatisieren und ggf. ihre Hände mit warmem Wasser aufwärmen. Untersucht werden acht Finger – alle bis auf die Daumen. Sie werden mit Öl benetzt. Der Ölfilm sorgt für eine klare Sicht auf die Kapillaren. Ein kleiner Tipp: Verwenden Sie möglichst helle Öle. Ich selbst nehme gerne ein Babyöl. Diese sind meist hell und etwas zähflüssig, so dass sie nicht so schnell verlaufen. Untersucht wird mit einem Mikroskop. Das Gerät muss gar nicht teuer sein. Wichtig ist eine etwa 10- bis 100-fache Vergrößerung. Manche Praxen nutzen ein Dermatoskop – das geht auch. Einige Mikroskope lassen sich an den Computer anschließen; somit können die Bilder dokumentiert werden. Das ist aus meiner Sicht aber nicht zwingend nötig. Eine gute schriftliche Befundung ist allerdings wichtig. Ein kleiner Tipp noch: Sollte es zeitlich etwas eng sein: Untersuchen Sie vorrangig die Finger, die mit bloßem Auge schon auffällig erscheinen. Einblutungen sind oft ohne Mikroskop zu erkennen. Falls dies nicht der Fall ist: Der vierte Finger (Ringfinger) ist meist derjenige, an dem die Kapillaren am besten zu beurteilen sind. | |
LILLY: Was könnte die Untersuchung erschweren und wie gehen Sie damit um?
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Katharina Pagel: Kalte Finger sind eine wichtige Fehlerquelle. Sie sind dringend zu vermeiden. Manche teuren Mikroskope haben eine Metallmulde, in die die Finger gelegt werden sollen. Ist der Raum kalt, sind es auch die Metallteile des Mikroskops. Das sollte unbedingt beachtet werden. Noch ein Punkt zu den Mikroskopen: Die teuren Geräte mit einer hohen Auflösung erfordern etwas mehr Übung beim Einstellen der Vergrößerung. Das kann dazu führen, dass die Finger immer wieder etwas zurechtgerückt werden. Hierbei sollte beachtet werden, dass der Druck nicht zu stark ist, um die Kapillaren nicht „abzudrücken“ und damit bei der Untersuchung falsche Befunde zu erheben.
Die Untersuchungen werden auch durch Stress erschwert. Stress wirkt gefäßverengend. Ich bitte meine Patientinnen und Patienten auch, kurz vor der Untersuchung nicht mehr zu Rauchen und die Nagelfalz mindestes zwei Wochen vor der Untersuchung nicht mehr zu manipulieren. Insbesondere sollten keine Nagelmaniküre durchgeführt oder die Nägel lackiert werden. Die Sicht auf die Nagelfalz muss in jedem Fall frei sein. | |
LILLY: Welches sind die Kriterien bei der Befundung der Kapillaren?
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Katharina Pagel: Bei der Befundung sind drei Kriterien zu beachten: Die Dichte der Kapillaren, die Form (u.a. Megakapillaren, Verzweigungen...) und das Gewebe um die Kapillare herum (Augenmerk z. B. auf Einblutungen). Dabei müssen die Kapillaren aber nicht einzeln gezählt werden. Es erfordert etwas Erfahrung für die Beurteilung der Kapillaren. Deshalb rate ich dazu, nach dem Kapillarmikroskopie-Kurs ganz viele Untersuchungen im Kollegenkreis durchzuführen oder auch die eigene Nagelfalz zu betrachten, um einen Blick für Normalbefunde zu erhalten. Es ist wichtig, ein Gefühl dafür zu bekommen. Bei Einblutungen sollte auch immer nach der vorherigen Tätigkeit gefragt werden. Beispielsweise treten diese Veränderungen auch nach vermehrter Belastung auf. Gitarrenspieler können so ein Beispiel sein oder auch Menschen, die zuvor viel im Garten gearbeitet haben, fallen öfter mit Einblutungen auf. Bei Frauen, die regelmäßig zur Maniküre gehen, ist die Methode meist ungeeignet, da es zu starken Veränderungen der Kapillaren kommt. | |
LILLY: Sehen die Kapillaren bei einer rheumatischen Erkrankung alle gleich aus? Wie lassen sich die Befunde differenzieren?
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Katharina Pagel: Nein, die Kapillaren verändern sich je nach Dauer einer Erkrankung in unterschiedlicher Form. Ich möchte dies am Beispiel der Sklerodermie verdeutlichen. In einem frühen Stadium bilden sich zunächst Megakapillaren aus. Es kann auch zu Einblutungen kommen, aber die Kapillaren sind noch alle da. Je länger die Erkrankung dauert, desto mehr Megakapillaren fallen auf. Es gibt einzelne Bereiche, in denen Kapillaren fehlen. Bei einer fortgeschrittenen Erkrankung haben wir große Areale ohne Gefäße. Der Körper versucht gegenzusteuern und bildet neue Gefäße, die dann aber nicht der normalen Haarnadel-Form entsprechen. Die Gefäßneubildungen können verlängert und büschelartig aussehen. Das Bild bei der Mikroskopie ist dann sehr auffällig. | |
LILLY: Welche persönlichen Erfahrungen haben Sie mit der Methode gemacht? Würden Sie die Schulung weiterempfehlen?
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Katharina Pagel: Ich bin jedes Mal aufs Neue fasziniert von dieser Methode, weil sie so einfach ist und die Diagnostik-Möglichkeiten erweitert. Außerdem erfreue ich mich immer wieder an den Bildern. Bei Verwendung von stark vergrößernden Mikroskopen kann man sogar erkennen, wie die Erythrozyten durch die Kapillaren fließen. Was ich sehr schätze, ist die ruhige Atmosphäre und Zeit mit den Patientinnen bzw. Patienten während der Untersuchung. Während der Mikroskopie kann eine weiterführende Anamnese erfolgen. Ich empfehle die Kapillarmikroskopie daher sehr gerne und rate jedem unbedingt zur Schulung. | |
LILLY: Frau Pagel, wir danken Ihnen für dieses interessante Gespräch!
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Buch-Tipp
Zu Beginn ist es immer wieder ein guter Rat, sich die Bilder von normalen und pathologischen Befunden anzuschauen. Dazu haben wir für Sie zwei Buch-Empfehlungen.
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Sander O., Iking-Konert C. und Ostendorf B. Taschenatlas Kapillarmikroskopie, 3. Auflage 2014.
hier zum Download -
Cutolo M. Atlas of Capillaroscopy in Rheumatic Diseases. Elsevier Milano 2010. ISBN: 8821432033.
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Bildhinweise: © istockphoto.com/Alena Ivochkina; Expertinnenfoto: Katharina Pagel
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